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Die „Bilderblume“ angelt sich einen großen Fisch

07.05.2018

WEINGARTEN - Da hat sich die Theaterwerkstatt Bilderblume mit ihrem neuen Stück an einen ganz großen Fisch herangewagt. An nicht weniger als an „Romeo & Julia – Vogelperspektive“. Sehr frei nach William Shakespeare ist das ihr fünftes Bühnenprojekt als inklusive Theatergruppe der Stiftung KBZO – unter der Leitung von Jonathan Skawski, der in diesem Comedy-Musical am Samstagabend im Kulturzentrum Linse auch selber mitspielte.

„Theater, Menschen mit und ohne Behinderung, Freundschaften, ganz viel Energie, Inklusion, Freude“, nannte Andrea Metzen, Bereichsleiterin Ambulante Dienste, eine Reihe von Stichwörtern, die den Theaterabend ausmachten. Ganz schön nervös seien die 15 Schauspielerinnen und Schauspieler, die auf den Startschuss warteten. Während sich die Gruppe noch im Dunkeln zum Fest der Capulets aufbaute, verschafften sich die einstigen Gefährten Mercutio und Tybalt lauthals Luft. Vor der Bühne und als leuchtend weiße Engel verkleidet. Schließlich sind sie vor 500 Jahren zu Tode gekommen und betrachten die Szenerie nun von oben aus der Vogelperspektive heraus.

 

Den Meister selbst, den „alten Kartoffelsack“ Shakespeare, haben sie ebenfalls eingeladen, damit er das Gemetzel zwischen den verfeindeten Familien der Montagues und der Capulets einmal miterleben kann. Nur, dass es zu keinem Blutvergießen kommt, und auch die überkommenen Reime lassen sie weg. „Viel zu übertrieben!“, handelt es sich doch um zwei naive Jugendliche, die sich verlieben.

Verzicht auf Reime

Unter der Regie von Jonathan Skawski wandelt das Stück auf Shakespeares Spuren, was den Handlungsstrang angeht. Versetzt es aber zugleich in unsere Zeit, was zu urkomischen, ulkigen und parodistischen Szenen führt.

 

Revueartig lassen sie die Party am Hofe der Capulets steigen. „Gutes Essen macht diese klare Nacht zu einem Fest“ – und sie tischen auf bis hin zur gelben Badeente. „Ein Montague, das geht ja gar nicht! Ein anderer muss her!“, nimmt Julias resolute Amme das Szepter in die Hand und schaut sich im ausgebuchten großen Linsesaal nach Wunschkandidaten um. Ja, das war damals auch schon nicht einfach, den passenden Seelenverwandten aufzustöbern. Guten Rat hierzu weiß die mit allen Wassern gewaschene, überaus adrette Samira. Sie preist mobile Digi-Apps zur Abholung von Flirts als Parodie auf einstige Kontakthöfe an. Die Theatergang schreckt vor nichts zurück. Auch nicht vor einer düsteren Kapuzen-Bruderschaft, denen jede Verschwörung recht ist, um ihre Waffengeschäfte am Laufen zu halten. Eine Hochzeit muss her, nur dann gibt es Krieg.

 

Bevor es so weit ist, beratschlagt die Pleite gegangene Adelsfamilie der Capulets unter einem Baldachin, wie sie Julia am besten verschachern kann. „Geld, Geld, Geld, regiert unsere Welt. Der Kontostand sank, jetzt sind sie blank“, singen sie im Chor. Solch trockene Pointen wie „So eine Hochzeit bringt einiges mit sich“ angesichts der horrenden Verschuldung brachten den Saal zum Lachen. Dabei durfte die Balkonszene natürlich nicht fehlen, in der Romeo den jugendlichen Lover mimt. Mal romantisch und traurig, mal verzweifelt und wütend. Auf Zuruf aus dem Publikum als improvisierte Stand up-Comedy. In der Schlussszene kommt es dann auch nicht so, wie es Shakespeare sich einst ausdachte. Die finstere Bruderschaft besprüht das Grab mit Graffiti, ist sie doch auf neuen Krieg aus. Nur ist da noch Romeo, und der hat ganz anderes im Sinn.

 

Der dirigiert die Kapuzenmänner hinter den Sarg und stimmt ein romantisches Liebeslied an, so wie es einst Orpheus für seine Eurydike tat. Ja, die Theaterwerkstatt Bilderblume hat an diesem Abend ganze Arbeit geleistet – auch der „alte Kartoffelsack“ hätte seinen Spaß an diesem Stück gehabt.

 

Text: Babette Caesar (Schwäbische Zeitung, Ausgabe Ravensburg/Weingarten, Montag, 7. Mai 2018)

www.schwaebische.de

Fotos: Edmund Heinzler

 

 

 

 

 

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